Konsequenz gezogen und Vitrinen geräumt

Erschienen am 12. September 2007 in der Zürichsee-Zeitung

Herrliberg: Der Verkehrs- und Verschönerungsverein Herrliberg (VVH) verabschiedet sich

Als Ende August 2007 die Vitrinen in der Zehntenscheune der Vogtei Herrliberg geräumt wurden, ging eine Ära zu Ende. Seit 1974 zeichnete der VVH für diese Ausstellungen. Jetzt kam es zum unrühmlichen Ende.

Antonia Baumann*

Die Vitrinen entstanden im Zuge der Renovation und Restauration der Gebäudegruppe Vogtei. Diese erfolgte 1972-1982 durch Edi Lanners (1929-1996) zusammen mit seiner Frau Ruth. In der Zehnten-scheune der Vogtei konnten dabei vier grosse Vitrinen erstellt werden, in denen Edi Lanners ab 1974 während 22 Jahren dutzende Ausstellungen realisierte. Die Wechselausstellungen beinhalteten Themenkreise, die mit der Gemeinde Herrliberg oder der Region im Zusammenhang standen.

Herrliberger Urgestein
Einer der prominenten Mitgestalter der Vitrinen-Ausstellungen war Hans Kasser (1907-1978), Grafiker, Fotograf und Redaktor. Anfangs der 1970er Jahre war er Initiant zur Erhaltung der Vogtei und ihre Umwandlung in ein kulturelles Zentrum. So begleitete er deren Realisation als Mitglied der Saalbau-kommission und gründete, zusammen mit Edi Lanners, 1975 die Galerie Vogtei, in der sich seine Frau, die bekannte Malerin Helen Kasser (1913-2000), mitbestimmend engagierte.
Auch Rolf Limburg (1932-2005) engagierte sich bei einigen Ausstellungen. Er war Architekt mit weit reichendem Einfluss. Als Mitglied der Baukommission (1978-1986) lag ihm viel an der Beibehaltung des dörflichen Erscheinungsbildes. Auch bei der Gestaltung von Vitrinen-Ausstellungen liess er sich durch sein kunsthistorisches Wissen und seine ästhetische Empfindsamkeit leiten.
Einige Wechselausstellungen wurden durch den landesweit bekannten Fotografen Noldi Lutz betreut. Zusammen mit Edi Lanners, Hans Kasser und Rolf Limburg engagierte er sich während Jahrzehnten für die kulturellen Belange des VVH.

Fokus auf Gemeinde und Region
Ausgestellt wurde alles, was im Zusammenhang mit der Gemeinde Herrliberg oder der Region stand. So wurde etwa auf die verschiedenen Vereine und Gewerbe eingegangen, die Entwicklung der Kirchen dargestellt, die Dampfschifffahrt unter die Lupe genommen, der natürliche Lebensraum vorgestellt, alte Konfirmationsbilder gezeigt oder ortsgeschichtlich relevante Themen behandelt.
Eine Ausstellung galt dem Bereich „Illusionen“, eine Kurzfassung der gleichnamigen Ausstellung von Edi Lanners im Helmhaus Zürich. Das dazugehörende Buch ist seit 1973 unter Kennern ein Geheimtipp.
Die letzte Ausstellung von Edi Lanners im Jahre 1996 war dem Herrliberger Kalender gewidmet, der sein 20-jähriges Bestehen feierte. Das Jahrheft mit ortshistorischen Beiträgen war 1977 durch Edi Lanners und Hans Kasser ins Leben gerufen worden.

1200 Jahre Wetzwil
Die nächste Vitrinen-Ausstellung realisierte Theo Martig und hatte das 1200-jährige Bestehen von Wetzwil zum Thema. Darauf folgte eine Ausstellung vom Kulturkreis Herrliberg, der über seine Tätigkeiten berichtete.
Ab 1998 übernahm das Archiv-Team des VVH die Gestaltung der Vitrinen-Ausstellungen, bestehend aus Lotti Lamprecht, Marie-Louise Hess und Antonia Baumann sowie dem Innenarchitekten Heinz Meyer und dem Fotografen Roland Brändli.
Mit dem Thema „Einst und Jetzt“ zeigte das Archiv-Team ortshistorisch relevante Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf. Die nächste Ausstellung war dem berühmten Kupferstecher und Herausgeber David Herrliberger (1697-1777) gewidmet, Namensvetter unserer Gemeinde. Im Museum Burg in Maur befindet sich eine permanente Ausstellung seiner Werke samt Kupferstecher-Werkstatt. Es folgte eine Ausstellung über das Naturnetz Pfannenstil, in Zusammenarbeit mit Dr. Rudolf Koch vom Natur- und Vogelschutzverein Herrliberg.

Antonia Baumann und Heinz Meyer beim Herausräumen der letzten Vitrinen-Ausstellung "Ländliches Haushalten vor 80 Jahren". (VVH-Archiv)

Zuletzt „oral history“
Die letzte Ausstellung wurde im Herbst 2004 realisiert und war dem Thema „Ländliches Haushalten vor 80 Jahren“ gewidmet. Ziel war es, die rasanten Veränderungen in unserem häuslichen Umfeld während der letzten Jahrzehnte aufzuzeigen. Untermauert wurde die Ausstellung durch Erlebnisberichte von älteren Herrlibergerinnen und Herrliberger. Diese Berichte sind Teil eines mehrjährigen VVH-Archiv-Projektes, das die mündliche Überlieferung (oral history) zum Thema hat. Die Ausstellung lud Jung und Alt dazu ein, die Phantasie anzuregen, zu rätseln, sich an längst vergessene Tätigkeiten der Eltern und Grosseltern zu erinnern oder eigene, frühe Erlebnisse wieder aufzufrischen.

Seriös recherchiert
Sämtlichen Ausstellungen gemein waren seriöses Recherchieren, untermauernde Ausstellungstexte, erklärendes Bildmaterial und themenbezogene Objekte. Und ganz zentral: Die Liebe zum Detail, das breit gefächerte Wissen und das grosse Engagement der Ausstellenden. Besonderes Augenmerk wurde auf die Gestaltung gelegt, wozu u.a. spezifische Fotografien oder einfallsreiche Konstruktionen erforderlich waren.
Es war selbstverständlich, dass die Ausstellenden nicht nur ihr Wissen und Know-how einbrachten, sondern mit detektivischer Akribie Details nachgingen, Archivbesuche machten, Übersetzungen anfertigten, Gegenstände aufspürten, Bildbearbeitungen vornahmen, fotografierten, koordinierten, klebten, schnitten, einpassten etc.
Vereinseigene Archivbestände ergänzte das Team oft durch Leihgaben, wodurch sich ein Beziehungsnetz ergab, das über die Ausstellungen hinaus weiter wirkte.

Mit weinendem Auge
Das Archiv-Team war motiviert, weiterhin Vitrinen-Ausstellungen zu realisieren. Jedoch wurde der Antrag des VVH an die Gemeinde betreffend Übernahme der Materialkosten für die nächste Ausstellung von Fr. 3’250.- pro Jahr vom Büro des Gemeinderats sage und schreibe fünf Mal abgeschmettert.
Die jeweils monatelange Gratisarbeit und das Know-how der Ausstellenden wurden zwar gewürdigt, aber das genügte offenbar nicht. So zog der VVH schweren Herzens die Konsequenzen, und das Archiv-Team räumte die Vitrinen aus. Die Ausstellung „Ländliches Haushalten vor 80 Jahren“ bildete demnach den Schlusspunkt der vom VVH seit 1974 realisierten Vitrinen-Ausstellungen in der Vogtei Herrliberg.

Was folgt?
Darüber wird nun gerätselt. Werden zukünftig Vereinsflaggen in den Vogtei-Vitrinen wehen? Werden sie etwa mit grünem Kunstrasen ausstaffiert? Oder nach marktorientierten Gesichtspunkten an Firmen als Reklameplattform vermietet? Dann würden die vier Vitrinen wohl bald mit Lavabos, Kräuteressig oder Bodylotion bestückt. Und den Besuchern, welche an den öffentlichen oder privaten Veranstaltungen in der Zehntenscheune der Vogtei teilnehmen, würden, z.B. als Auftakt zu einem Konzert, merkantile Vitrinen serviert. Das käme einer Faust aufs Auge gleich und stünde im krassen Gegensatz zum Konzept des Kulturzentrums Vogtei Herrliberg.

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*Antonia Baumann ist Präsidentin des Verkehrs- und Verschönerungsvereins Herrliberg (VVH).