Haushalten vor 80 Jahren

Erschienen am 7. Oktober 2004 in der Zürichsee-Zeitung

Herrliberg: Neue Ausstellung in den Vogtei-Vitrinen.

Ein Leben wie zu Gotthelfs Zeiten: Auch im ländlichen Herrliberg ist diese einfache Lebensweise bis in die 1950er Jahre verbreitet. Die Gruppe Archiv des Verkehrs- und Verschönerungsverein Herrliberg (VVH) beleuchtet Schwerpunkte des Haushaltens unserer Eltern und Grosseltern.

Antonia Baumann*

Seit den 1960er Jahren haben industrielle Massenproduktion und neue Kühlmethoden unsere Möglichkeiten, Lebensmittel zu beschaffen und aufzubewahren, in ungeahnter Weise vereinfacht. Wer wäre heute noch fähig, mit den technischen Mitteln und knappen Ressourcen unserer Eltern und Grosseltern einen ganzen Winter zu überleben?
Am 30. September konnte zur Vernissage der neuen Vitrinen-Ausstellung der Vogtei Herrliberg eingeladen werden, die dem Thema „Ländliches Haushalten vor 80 Jahren“ gewidmet ist. Die Ausstellung wurde vom Verkehrs- und Verschönerungsverein Herrliberg (VVH), Gruppe Archiv (Antonia Baumann, Marie-Louise Hess, Lotti Lamprecht) realisiert, mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde Herrliberg. Heinz Meyer (Herrliberg) und Roland Brändli (Meilen) setzten die Gestaltung auf kreative Weise um.

Grossfamilie und Kooperation

Das Fernsehen hat kürzlich während einiger Wochen das tägliche Leben einer „Gotthelf-Familie“ auf einem Bauernhof im Emmental begleitet. Auch im ländlichen Herrliberg ist bis in die 1950er Jahre diese einfache Lebensweise immer noch anzutreffen. Die Familie, besonders die Bauernfamilie, ist eine Arbeits- und Lebensgemeinschaft. Dabei ist meist noch die Dreigenerationen-Familie intakt, bestehend aus Grosseltern, Eltern und Kindern. In einer Zeit, in der nur wenige Maschinen die Arbeit erleichtern, sind die Arbeitstage für alle Familienmitglieder lang und körperlich anstrengend. Auch die Kinder müssen mithelfen. Beschränkt vorhandene Ressourcen erfordern von der Grossfamilie eine umsichtige und optimal geplante Selbstversorgung, die auf den Jahresrhythmus abgestimmt ist und die uneingeschränkte Mitarbeit aller Familienglieder voraussetzt. Eine Kombination von Wissen und Erfahrung im landwirtschaftlichen Anbau, im Handwerk, in der Handarbeit und im planmässigen Hauswirtschaften ist Voraussetzung für das Überleben der Familie, das zusätzlich bedingungslose Kooperation verlangt.

Der Waschtag war im alten Haushalt eine arbeits- und materialintensive "Schlacht" am Trog. Christian Dietz-Saluz

Vor allem Selbstversorgung

Da nur beschränkte Mittel und Möglichkeiten vorhanden sind, werden die natürlichen Ressourcen nicht übernutzt. Die Menschen passen sich den Erfordernissen der Jahreszeiten an und sind von der Natur abhängig. Dabei sind sie sich der vernetzten Abläufe bewusst und passen ihre Tätigkeiten den Umständen an.
Heute, nach mehreren Jahrzehnten wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, nach Überfluss und Abfallbergen, werden die Begriffe „Nachhaltigkeit“, „Wiederverwertung“, „vernetztes Denken“ und „Oekologie“ in der Öffentlichkeit diskutiert und ihnen wachsende Bedeutung beigemessen.
Die neue Ausstellung in den Vogtei-Vitrinen beleuchtet vier Bereiche des ländlichen Haushaltens näher: Stube, Küche, Waschen und Vorrat. So lebten und überlebten unsere Eltern und Grosseltern, so führte ihr Know-how zu möglichst grosser Selbstversorgung.

Holzherd mit Wasserschiff

Ein grosser Teil des ländlichen Familienlebens spielt sich in der Küche ab, geprägt durch gemeinsame Arbeit und Verarbeitung der erwirtschafteten Güter. Das Hauswirtschaften, das traditionellerweise den Frauen obliegt, schliesst auch Gartenarbeit sowie Sammeln von Beeren und Pilzen ein. Jede Möglichkeit der Nahrungsbeschaffung wird genutzt. Was auf den Tisch kommt, wird von den Jahreszeiten bestimmt. Die Frauen müssen sparsam haushalten und umsichtig vorausplanen, damit die Vorräte durch den Winter reichen. Bringt das Jahr eine Missernte, kann das labile Versorgungssystem einer ländlichen Familie schnell zusammenbrechen und zu bitterer Armut führen. Das tägliche Nahrungsangebot ist knapp bemessen und der Arbeitsaufwand, bis das Essen auf dem Tisch steht, unverhältnismässig gross, sodass entsprechend achtungsvoll umgegangen wird mit dem Wenigen, das vorhanden ist. Die Nahrungsaufnahme stillt nicht nur Hunger und Durst, sondern dem gemeinsamen Essen wohnt auch eine soziale Funktion inne.
Die ummantelte Küchenfeuerstelle, deren Wärme gleichzeitig zum Heizen der Stube genutzt wird, ist im Mittelland seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bekannt, und zwar unter dem charakteristischen Namen „Holzersparungskunst“ (später kurz „Kunst“, zürichdeutsch Chouscht). Die frühen Formen des Sparherdes bestehen aus einem auf der alten Feuerplatte errichteten gemauerten Aufsatz. Die Herdplatte besteht aus Eisen, später wird der ganze Feuerkasten aus Eisen hergestellt. Die Kochtöpfe aus Kupfer, Bronze oder Eisen werden in die Öffnungen gesenkt, deren Durchmesser mittels Ringen der jeweiligen Pfannengrösse angepasst werden kann.
Später werden die Pfannen nicht mehr ins Feuer, sondern auf die Herdplatte gestellt; dadurch werden die Pfannen nicht mehr russig. Im Herd ist seitlich meist ein rechteckiges Kupferbecken eingebaut, das warmes Wasser bereithält: das so genannte Wasserschiff.

Alte Küchenutensilien - wer kennt sie heute noch? Klöppeln war früher fast in allen Haushalten als Kunsthandwerk vertreten. Christian Dietz-Saluz

Die mühsame Prozedur eines Waschtags

Eine Herrlibergerin erzählt aus der Zeit, als es die Waschmaschine noch nicht gab:
„Am Vortag mussten wir Frauen die Wäsche erlääse, mit Kernseife einseifen und mit Soda einweichen. Am Waschtag trugen die Männer einen mobilen, doppelten Waschtrog hinaus ins Freie zum Wasserhahn. Die Wäsche musste mit dem langen Stössel bearbeitet werden. Hartnäckige Flecken oder Männerhemden wurden auf dem Waschbrett gerieben. Die Wäsche kam zum Kochen in den kupfernen Waschkessel, der unten eingefeuert worden war. Die gekochte Wäsche stemmte ich mit der langen Wöschchele heraus und wickelte sie mehrmals darum, damit sie einfacher zu tragen war und in den Waschtrog mit kaltem Wasser zum Spülen geschleppt werden konnte. Der Nebentrog enthielt heisses Wasser, sodass ich die schwere Wäsche mehrmals von einem Trog in den anderen hieven musste. Auf der Erde entstand ein Gräbli, in welchem das schmutzige Wasser ablief. Zum Abtropfen legte ich die Wäsche auf eine Wöschbäre, ein Gestell mit Lattenrost. Bis Mittag konnten auf diese Weise zehn Leintücher gewaschen werden. Am Nachmittag kam die Buntwäsche und zum Schluss die Stallkleider und die halbleinenen Hosen dran. Wir trugen die Wäsche auf der Wöschbäre oder in Holzgelte auf die Wiese zum Trocknen. Diese Holzgelte benutzten wir auch zum Wüme. Aufgehängt wurde die Wäsche an einem Seil, das die Männer von Baum zu Baum spannten. Als ich erwachsen war, führte ich diese Arbeit auch aus. Ich umwickelte die Äste der Bäume immer erst mit einem Papier, bevor ich daran das Seil spannte. Damit das lange Waschseil nicht durchhing, gab es Holzstützen. Diese bestanden jeweils aus zwei Boonestickel, die wir oben übers Kreuz zusammenbanden.
Zum Waschen trugen wir Holzschuhe und eine Gummischürze. Wenn ich die Wäsche aus dem Wöschhafe herausheben musste, lief mir manchmal das kochende Wasser an den Beinen hinunter. Ich musste sehr aufpassen, dass ich mir nicht meine Beine verbrühte.
Wir wuschen etwa alle vier Wochen. Grossfamilien mit einem Haushalt von zehn Personen konnten nur waschen, wenn dies der Bauernbetrieb zuliess, was wenige Male im Jahr möglich war, denn sie benötigten dazu zwei bis drei Tage. Nach der grossen Wäsche durften wir in der Stande baden.“

Vorräte anlegen

Alles Essbare, das im Garten, auf dem Feld oder durch die Huusmetzgete gewonnen wird, kommt entweder frisch auf den Tisch, wird eingekellert oder für den Vorrat zubereitet. Selbstversorgung ist die Regel. Auch Nicht-Bauern bearbeiten einen Pflanzblätz. Die Frauen kochen Beeren und Früchte ein, konservieren Eier, dörren Früchte, Bohnen und Pilze, sieden Butter ein und räuchern Fleisch. Die verschiedenen Verfahren sind zeitaufwändig, setzen grosse Erfahrung voraus und sind aus heutiger Sicht kompliziert. Im Herbst wird gepresst: Es entsteht Most in Flaschen oder Fässli sowie Wein.
Viele Familien halten sich Kaninchen, einige ein Schwein, welche das Jahr über mit den Küchen- und Gartenabfällen gefüttert werden. Im Winter wird das Schwein vom Störmetzger geschlachtet. Noch am Schlachttag werden Blut- und Leberwürste sowie Dauerwürste hergestellt. Was nicht zum sofortigen Verbrauch bestimmt ist, wird während der folgenden Tage von der Hausfrau weiterverarbeitet. Voressen und Bratenstücke werden sterilisiert, Speck und Schinken für die Rauchkammer vorbereitet. Dafür werden sie in eine Salzlake eingelegt oder trocken eingesalzen. Nach einer Woche wird das Fleisch in die Rauchkammer, ein Seitenschacht des Kamins, gehängt.
Vor allem Früchte, Bohnen und Fleisch werden durch Sterilisieren für den Winter haltbar gemacht. Dazu werden grosse, saubere „Weckgläser“ verwendet. Die gefüllten Gläser müssen sorgfältig verschlossen werden und kommen dann, durch eine Handvoll Holzwolle oder Heu von einander getrennt, ins Wasserbad. Meist dient ein Waschkessel, mit einem Holzrost ausgelegt, zum Sterilisieren. Nach dem Ende des Kochvorgangs werden die Gläser mit Tüchern herausgehoben, auf eine Wolldecke gestellt und zugedeckt, damit sie langsam abkühlen.

Heinz Meyer und Roland Brändli beim Einrichten der Vogtei-Vitrinen. Antonia Baumann

Was ist das?

Der Ausstellungstext in den Vogtei-Vitrinen wird durch Erlebnisberichte von älteren Herrlibergerinnen ergänzt. Neben Exponaten aus dem VVH-Archiv stehen Gegenstände von 16 Personen, die sich bereit erklärt haben, ihre lieb gewordenen Sammelstücke auszustellen. Ihnen allen sei herzlich gedankt! Die grossen Hintergrund-Fotografien sind in schwarz-weiss gehalten und thematisieren jeweils den Schwerpunkt der vier Vitrinen. Weitere Bilder und Texte vertiefen spotartig einzelne Facetten des ländlichen Haushaltens. So wird etwa ein Feuerhaus und ein Tresterschuppen beschrieben, auf den kupfernen Wöschhafe eingegangen, worin die Wäsche gekocht wurde, oder über die Dosen-Verschliess-Maschine berichtet, die früher in vielen Haushaltungen anzutreffen war und dazu benutzt wurde, Fleisch zu konservieren.
Der Besucher trifft auch auf alte Herrliberger, wie etwa Alois Hermann, dem letzten Ofenbauer, oder auf den „Söipfe-Hofme“, dessen blinder Sohn mit seiner Schwester bis Mitte der 1940er Jahre von Haustüre zu Haustüre ging und in seinem Chörbli Kernseifen zum Verkauf anbot.
Die Ausstellung in den Vogtei-Vitrinen lädt Jung und Alt dazu ein, die Phantasie anzuregen, zu rätseln, sich an längst vergessene Tätigkeiten der Eltern und Grosseltern zu erinnern oder eigene, frühe Erlebnisse wieder aufzufrischen. Die Vogtei Herrliberg ist jeweils anlässlich öffentlicher oder privater Veranstaltungen geöffnet, wobei dann die Vitrinen frei zugänglich sind.

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*Antonia Baumann ist Vorstandsmitglied im VVH; dieser Beitrag basiert auf dem Ausstellungstext, der in Zusammenarbeit mit Marie-Louise Hess und Lotti Lamprecht entstand.